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Ballgäste haben Blut von Opfern des as-Sisi-Regimes an ihren Händen

Kommentar

„Jetzt lasst uns schwelgen, schwofen, mitsingen und -schwingen“, appellierte Roland Kaiser gestern Abend an das Publikum des 15. Dresdner Semperopernballs. Der berühmte deutsche Sänger wollte auf diese Weise ablenken von der Ehrung des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah as-Sisi, der durch Ballchef Hans-Joachim Frey vor anderthalb Wochen im Präsidentenpalast in Kairo mit einem Orden „für humanitäres Engagement“ (Bild) geehrt wurde.


Eine Ehrung, die immerhin keine rein private Angelegenheit ist. Schließlich zahlt der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der durch den Staatsvertrag eng mit der Exekutive verknüpft ist, rund 530.000 Euro für die Übertragung des Balls. Dies erklärte MDR-Fernsehdirektor Wolf-Dieter Jacobi zum Vertrag mit dem Semper Opernball e.V., dessen Vorsitzender Hans-Joachim Frey, der künftig einen Opernball in Kairo veranstalten will. Gelegenheit für Frey, doch noch mit as-Sisi auf einem Ball gemeinsam den Walzer zu tanzen.

Die Landeshauptstadt Dresden verursacht Jahr für Jahr Kosten in Höhe von mehreren Tausend Euro zu Lasten des Steuerzahlers für teure Opernballkarten. Allein in den Jahren 2018 und 2019 wurde aus der Stadtkasse jeweils 6.426 Euro für Eintrittskarten zum Semperopernball bezahlt. 2020 dürfte der Betrag, der von der Landeshauptstadt Dresden an den Semper Opernball e.V. fließt, ähnlich hoch sein.

Die Menschenrechtslage in Ägypten gilt unter Experten als mangelhaft. Folter und Mord im Auftrag as-Sisis Militärjunta gehören zur politischen Tagesordnung. Doch diese schwersten Menschenrechtsverstöße in Ägypten verdrängten die Dresdner Ballbesucher, die im Takte des Kaiserwalzers schunkelten und zur Hymne „Dresden dreht sich im Walzerschritt“ jubilierten.

Der Dresdner Opernball wurde dieses Jahr zu einem Tanz auf dem Leichenfeld des Rabaa-al-Adawiya-Platzes, auf dem kurz nach as-Sisis Militärputsch um die Tausend friedliche Demonstranten, darunter zahllose Frauen und Kinder, durch as-Sisis Militär getötet und circa viertausend verwundet wurden.

Angeblich wurde die Ehrung des Putschisten as-Sisi wenige Tage vor Beginn der Gala widerrufen, doch blieb diese Aberkennung ohne praktische Folgen für den Militärdiktator am Nil, da die Übergabe des Ordens „für humanitäres Engagement“ und die Ehrung as-Sisis während der Zeremonie im Präsidentenpalast in Kairo bereits in Anwesenheit der Presse über die Bühne ging. Über die vorgebliche Anerkennung des Ordens hüllt sich die ägyptische Presse hingegen in vornehmes Schweigen. Eine Aberkennung, über die nicht berichtet wird, ist keine Aberkennung.

Daher klebt an den Händen der Dresdner Ballgäste nun etwas vom Blut aus den Folterkellern in den Kerkern des as-Sisis-Regimes. Das Motto des Balles „Alles Walzer!“ verhöhnt die Opfer von gravierenden Menschenrechtsverstößen in Ägypten. Nach der Ehrung as-Sisis durch den Dresdner Semperopernball hätte dieser abgesagt werden müssen aus Respekt vor den Opfern von Folter und Mord, die in der Militärjunta von as-Sisi in Ägypten an der Tagesordnung sind.

Zum 1. Dresdner SeifenOpernBall vor den Türen des Semperopernballes kamen rund 150 Menschen und veranstalteten eine fröhlichen Satire auf die Vorgänge um das Original.

Etwas ernster nahm die Ehrung as-Sisis die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Sachsen, die zum Beginn des Semperopernballs zu einer Mahnwache am Theaterplatz aufrief, um gegen die Verleihung des St.-Georgs-Ordens „an den Ägyptischen Autokraten Al-Sisi zu protestieren. Der Ägyptische Präsident ist kein Mutmacher und kein Friedensstifter, sondern tritt Menschenrechte mit Füßen und drangsaliert die Zivilbevölkerung.“

Anlässlich der Verleihung des St.-Georgs-Ordens des Dresdner Semperopernballs an den Ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah Al-Sisi erklärt Wassily Nemitz, Sprecher von Amnesty International in Sachsen: „Neben der Frage, warum der Dresdner Semperopernball es sich generell zur Aufgabe gemacht hat, zweifelhaften Persönlichkeiten Orden zu verleihen, ist die Auszeichnung Al-Sisis skandalös und absurd. Bei Abdel Fattah Al-Sisi handelt es sich zweifelsohne um einen diktatorisch regierenden Alleinherrscher, der Menschenrechte mit Füßen tritt.”

Seit dem Amtsantritt Al-Sisis im Jahr 2013 hat sich die Menschenrechtssituation in Ägypten enorm verschlechtert. Amnesty International hat in den vergangenen Jahren unzählige Fälle willkürlicher Inhaftierungen aufgrund von friedlichem Protest und legitimer Kritik an der Regierung dokumentiert. Kritische Beiträge in Sozialen Medien reichen aus, um von den Behörden schikaniert zu werden, wie beispielhaft der Fall der Frauenrechtlerin Amal Fathy zeigt: Nachdem sie auf Facebook sexuelle Gewalt in der Ägyptischen Gesellschaft angeprangert hatte, wurde sie unter dem Vorwurf verhaftet, falsche Informationen zu verbreiten und dem Ägyptischen Staat schaden zu wollen.

Zahllose Menschen sind darüber hinaus dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen oder wurden teilweise jahrelang in Untersuchungshaft gehalten, ohne dass Beweise oder auch nur eine Anklage vorgelegt wurden. Nach Informationen von Amnesty setzt die Regierung Folter ein und nutzt unter Folter erpresste “Geständnisse” als Beweise vor Gericht.

Nemitz erklärte weiter: “Zwar hat sich Hans-Joachim Frey als Vorsitzender des Semperopernball-Vereins für die Preisverleihung im Nachhinein entschuldigt. Es erscheint aber wenig glaubhaft, dass er von den Vorwürfen gegenüber Al-Sisi zuvor noch nie etwas gehört hat. Die Verleihung des Ordens kann somit entweder nur als absolut naiv oder aber als Missachtung gegenüber grundlegenden Menschen- und Bürgerrechten interpretiert werden. Beides wäre in hohem Maße bedenklich.”

Am Tag des Semperopernballs hat Amnesty International daher eine Mahnwache vor dem Opernhaus abgehalten. Nemitz erklärte hierzu: “Es ist nicht unser Ziel, Gäste des Balls zu beschimpfen oder zu verunglimpfen. Damit würden wir auch nicht die Richtigen treffen. Der Semperopernball soll eine friedliche, positiv besetzte Veranstaltung sein. Den Schatten, der nun über dem Fest liegt, hat der Verein mit dieser Preisverleihung jedoch selbst zu verantworten. Wir möchten ein Zeichen setzen, dass es der Sächsischen Zivilgesellschaft nicht egal ist, wenn zweifelhafte Persönlichkeiten wie Al-Sisi mit Orden ausgezeichnet und dabei als ‘Friedensstifter’ und ‘Mutmacher’ betitelt werden.”

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Martin Lejeune

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Martin Lejeune is a freelance journalist, correspondent, political analyst and photographer based in Berlin, Germany

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